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Liebe Fußballfreunde,
der eine oder die andere von Euch wird es vielleicht als kleiner Junge oder kleines Mädchen mit glühenden Ohren der Begeisterung (sowie von der Hitze der Taschenlampe) wenn ja eigentlich schon Nachruhe herrschen sollte unter der Bettdecke gelesen haben: "Klapperzahns Wunderelf" von Eduard Bass. Euch kleinen Hosenscheißern von einst, aber auch allen anderen Leseratten wollen wir von heute an in Auszügen diesen Klassiker der Fußball- und Kinderliteratur noch einmal nahe bringen bzw. zum ersten Mal bekannt machen. Taucht also - noch einmal oder zum ersten Mal - ein in die Welt der Familie Klapperzahn, in der sich alles um einen fußballverrückten, knorrigen Vater und seine elf Söhne dreht, erlebt ihren wundersamen Aufstieg zur besten Mannschaft der Welt mit, ihre unvergesslichen Spiele in Barcelona, in London und Sydney, die ersten Erfahrungen der Jungs mit dem weiblichen Wesen und wie sie sich, vom Vater argwöhnisch beäugt, an materiellen Wohlstand gewöhnen, erfahrt von einem hochherrschaftlichen Ersatzspieler, von Großvater Honzas goldenem Schiedsrichter-Pfeifchen, vom drohenden Zerfall der Mannschaft und von all dem, was sonst noch so passierte ...

Geschrieben hat das Buch Eduard Bass. Eduard wurde 1888 in Prag geboren. Sein Vater war Eigentümer einer Bürstenbinderei und hätte es wohl gern gesehen, wenn sein Sohn die Firma übernommen hätte. Doch der fühlte sich von Jugend an zu Theater, Kabarett und Literatur hingezogen. Und so verließ er 1905 die elterliche Werkstatt, reiste in der Weltgeschichte umher (u.a. Schweiz, Deutschland, Holland), kehrte heim und wurde Schauspieler, hauptsächlich im Kabarett. In dieser Zeit, etwa 1910, legte er seinen Geburtsnamen ab, denn bei aller Wertschätzung für unseren Manndecker mit der Rückennummer 13, aber "Schmidt", denn so hieß er eigentlich, machte nun mal damals in der Welt der Künstler, in die Eduard Einlass begehrte, nicht viel her. In Anlehnung an sein mächtiges Stimmvolumen gab er sich den Namen "Bass". So viel dazu.
Bald begann er, sich seine Texte selber zu schreiben. Als Kabarettist brachte er es bis zum Direktor der beiden renommierten Prager Varieté-Bühnen "Rokoko" und "Die rote Sieben". Nebenher verfasste er immer häufiger Prosa für satirische Zeitschriften. Sein Schreibtalent überwog schließlich, im Jahre 1920 hängte er die Schauspielerei an den Nagel, nahm eine Stelle als Redakteur der großen Prager Tageszeitung "Lidové noviny" an und widmete sich seiner schriftstellerischen Tätigkeit. Und dann war es auch bald soweit: In der sog. "goldenen Ära" des tschechoslowakischen Fußballs, als vornehmlich die großen Prager Klubs Sparta, Slavia, Bohemians und last but not least natürlich auch Viktoria Zizkov das europäische Spitzenniveau mitbestimmten, schrieb Eduard Bass 1922 das Buch, das sein erster richtig großer Erfolg werden sollte: "Klapzubova jedenáctka", zu deutsch "Klapperzahns Wunderelf". Das Buch trat seinen Siegeszug in der damaligen CSR und auch in Europa an, wurde 1938 - sehr frei - verfilmt und erzielt in Tschechien bis heute hohe Auflagen.
Eduard Bass blieb bei der Zeitung, wo er von 1933 bis 1942 sogar als Chefredakteur wirkte, und schrieb noch einige erfolgreiche Bücher. 1940, also schon während der Okkupation der Tschechoslowakei durch Nazideutschland, sollte der erste Teil einer Chronik erscheinen, die sich mit den Vormärzgeschehnissen Österreich-Ungarns (wozu Böhmen, Mähren und die Slowakei zählten) 1848 befasste. Die Intention des Buches, die Stärkung des Souveränitätsgefühls seines Volkes, blieb auch den Nazis nicht verborgen, sie zensierten es zunächst und beschlagnahmten es schließlich. Dagegen durfte der Roman "Zirkus Humberto" 1941 noch erscheinen, den viele seiner Landsleute als Parabel auf ihre Lebensumstände begriffen. Bass zog sich danach in die Abgeschiedenheit zurück, begann zwar nach dem Krieg wieder zu arbeiten, aber starb nach mehreren Herzanfällen im September 1946.
Nun noch kurz zu "Klapperzahns Wunderelf". Natürlich muten einige Dinge in dem Buch, das mittlerweile schon 80 Jahre auf dem Buckel hat, etwas altertümlich an, ganz abgesehen davon, dass es für Kinder geschrieben und unsereins ja auch älter geworden ist. Bei der moralischen Entrüstung über den (seinerzeit ja vergleichsweise hochanständigen) "Profi"fußball beispielsweise könnte man ja angesichts der heutigen Auswüchse nur noch milde lächeln oder müde abwinken. Dennoch oder gerade deshalb bieten die "Klapperzähne" einen sowohl amüsanten, als auch interessanten Einblick in die damaligen Verhältnisse und Wertverstellungen. Und die Begeisterung für unseren geliebten Rasensport war damals wie heute definitiv die gleiche.

Joe Dassin

Klapperzahns Wunderelf - Folge 1

Es war einmal ein armer Häusler, der hieß Klapperzahn und hatte elf Söhne. In seiner Armut wußte er nicht, was aus den jungen werden sollte. Deshalb stellte er mit ihnen eine Fußballmannschaft zusammen. Neben seinem Häuschen hatte er eine schöne, ebene Wiese, die wurde der Fußballplatz. Die Ziege verkaufte er für zwei Bälle, damit die Jungen trainieren konnten. Honza, der älteste, eine schrecklich lange Latte, wurde Torwart; die beiden jüngsten, Franz und Jura, klein und flink, stellte der alte Klapperzahn auf die Flügel.
Schon früh um fünf weckte er die Jungen und marschierte mit ihnen eine Stunde lang in scharfem Tempo durch den Wald. Nachdem sie sechs Kilometer zurückgelegt hatten, ging es im Laufschritt zurück. Jetzt erst erhielten sie ihr Frühstück, und danach begann das Fußballtraining. Der alte Klapperzahn achtete streng darauf, daß jeder alles beherrschte. Er lehrte sie, wie man den Ball aus der Luft nimmt, ihn stoppt, vorlegt und abfälscht. Er zeigte ihnen das Schießen aus dem Stand und aus dem Lauf, von der Erde aus und gleich aus der Luft. Sie übten das Spiel im Mittelfeld, den Hackentrick, das Dribbeln und den Kopfball, Elfmeter und Eckball. Sie schlugen den Ball ins Aus, nahmen ihn mit dem Fuß, stoppten ihn mit der Brust; sie lernten eine Dreieckkombination mit Innensturm, Flügel und Läufer, das Zuspiel zum Flügel, Durchbrüche und Stoppen des Angriffs. Sie übten weite Schüsse, täuschten den Schuß an, stießen vor und liefen zurück. Sie holten den Ball in Robinsonaden aus den Torecken, spielten ihn mit dem Wind und gegen diesen und verblüfften den Gegner mit Körpertäuschungen. Sie lernten, nicht abseits zu stehen, gegen einen Verteidiger zu kämpfen und ein gestelltes Bein zu überspringen. Sie schossen mit Spitze, Spann, Schienbein, Innenrist und Hacken.
Wie ihr seht, war es sehr viel, was die Klapperzahnjungen lernen mußten, aber es war noch lange nicht alles. Hinzu kamen noch besondere Übungen im Laufen und Springen. Sie absolvierten Kurz-, Mittel- und Langstreckenläufe und mußten Weit- und Hochsprung, Stabhochsprung und Dreisprung sowie den Hürdenlauf beherrschen. Vor allem aber mußten sie schnell starten können. Und auch damit begnügte sich der alte Klapperzahn noch nicht. Damit sie breite Schultern bekamen, lernten sie Kugelstoßen, Speer- und Diskuswerfen. Sie rangen im griechisch-römischen Stil, um die Muskeln zu stählen, und sie veranstalteten Tauziehen, damit der ganze Körper wie aus Eisen wurde. Zuallererst aber, bevor sie Oberhaupt anfingen, mußten sie mit leichten Hanteln Atemübungen machen, denn der alte Klapperzahn behauptete mit Recht, daß ohne ausreichenden Atem und ohne ein gutes Herz jede Übung der reinste Mord sei.
Kurzum, sie hatten so viel zu tun, daß sie zu Mittag hungrig wie die Wölfe ins Haus gestürzt kamen und das Essen hinunterschlangen und alles ausleckten, solange noch in einer Schüssel oder Bratpfanne etwas Eßbares zu erblicken war. Dann streckten sie sich einer neben dem andern auf dem Fußboden oder im Hof aus und ruhten eine Stunde lang. Dabei wurde nicht viel gesprochen, denn jeder war froh, daß er seine müden Glieder irgendwohin legen konnte und sich nicht zu bewegen brauchte.
Nach einer Stunde klopfte dann der alte Klapperzahn seine Pfeife aus, rief seine jungen, und schon ging es von neuem los. Am späten Nachmittag nahm auch der Vater die Fußballschuhe, schloß sich den Jungen an, damit sie zwölf waren, und spielte mit ihnen zu sechst auf zwei Tore. Am Abend brachen sie wie ein Hochwasser über das Haus herein. Der alte Klapperzahn massierte einen nach dem andern und goß über jeden drei Bottiche kaltes Wasser, denn Brausen gab es in dem Häuschen, natürlich nicht. Dann bekamen sie ein leichtes Abendessen, und nachdem sie sich eine Weile unterhalten hatten, jagte er sie ins Bett. Am nächsten Morgen begann es von vorn, und so trainierte er sie Tag für Tag - drei Jahre lang.
Am Ende des dritten Jahres fuhr Klapperzahn nach Prag. Von dort brachte er eine Tafel mit, die er über dem Tor annagelte. Sie hatte eine blaue Umrandung, und in roten Buchstaben stand auf der weißen Fläche: S. K. Klapperzahn-Elf.
In der Tasche hatte er die Bestätigung vom Mitteltschechischen Fußballverband, daß die Klapperzahn-Elf in die dritte Klasse aufgenommen worden war. Die jungen ärgerten sich furchtbar, daß sie nur in der dritten Klasse spielen sollten, aber der alte Klapperzahn sagte: "Alles muß schön der Reihe nach gehen. Schön wär's ja, wenn ihr auch die Slavia einseifen würdet, aber bis es soweit ist, muß euch das hier genügen. Ich habe euch alles beigebracht, was ihr braucht, jetzt müßt ihr euch selbst nach vorn kämpfen. Anders ist es nun mal nicht in der Welt!"
Die Jungen murrten noch eine Weile, dann gingen sie schlafen. Nur Franz und Jura flüsterten noch miteinander und überlegten, wie sie dem Racov (von Slavia Prag) davonlaufen, den Ball an Chanov vorbei ins Tor schießen, den Hoyer von Sparta täuschen und dem Peyr die Bälle in die Ecke knallen würden.
Im Frühjahr begannen die Spiele um die Meisterschaft. Die Klapperzahn-Elf fuhr nach Prag zum ersten Wettspiel mit dem A. C. Hlubocepy. Niemand kannte sie, und die Leute lachten über ihren Namen. Noch mehr aber lachten sie, als sie diese schüchternen Jungen vom Lande mit den Pelzmützen erblickten, die noch niemals in einer Großstadt waren und die von einem so alten, pfeiferauchenden Opa ins Stadion geführt wurden. Aber als die Klapperzähne sich auf dem Spielfeld aufgestellt hatten und der Schiedsrichter das Spiel anpfiff, brach es wie ein Verhängnis über die gegnerische Mannschaft herein. 39 : 0 endete die erste Halbzeit für die Klapperzähne, und in der zweiten Hälfte trat der A. C. Hlubocepy überhaupt nicht mehr an. Irgendein Fehler müsse dem Verband unterlaufen sein, so erklärte man, denn diese Mannschaft gehöre doch nicht in die dritte Klasse! Der alte Klapperzahn saß auf einer Bank und spitzte die Ohren. Er blinzelte mit den Augen und griente über das, was man um ihn herum erzählte, schob die Pfeife aus einem Mundwinkel in den anderen, und seine Augen funkelten wie bei einem Kater. Als er auch den Schiedsrichter von einem Mißverständnis sprechen hörte, über das er beim Verband Meldung erstatten würde, ging er zu seinen Jungen in die Holzbude, klopfte jedem auf die Schulter und fuhr mit ihnen nach Hause.
Am folgenden Mittwoch brachte der Briefträger einen großen Brief. Darin stand, daß auf Beschluß des Verbandes die Klapperzahn-Elf in die zweite Klasse aufgenommen worden sei. Am kommenden Sonntag habe sie gegen den S. K. Vrsovice anzutreten. Der alte Klapperzahn schmunzelte vergnügt, seine Jungen brüllten vor Begeisterung.
Am Sonntag spielten sie in Vrsovice. Viele tausend Zuschauer kamen, weil es sich in Prag herumgesprochen hatte, was diese Klapperzahn-Elf für eine ungewöhnliche Mannschaft wäre. Wieder setzte sich Vater Klapperzahn, die Pfeife im Mund, auf eine Bank, blinzelte den Jungen zu, und sie gewannen 14: 0. Wieder gab es einen Heidenkrach, und wieder kam ein Brief, und die Klapperzahn-Elf war in der ersten Klasse. Sprünge ließen sich jetzt nicht mehr machen. So schlugen sie denn Klub für Klub: SK. Krocehlavy 13: 0, Sparta Kosire 16:0, Sparta Kladno 11 : 0, Cechi Karlin 9 : 0, Nuselsky S. K. 12:0, Meteor Prag VIII 10 : 0, C. A. F. C. 8: 0, S. K. Kladno 15:0, A. F. K. Vrsovice 7: 0, Union Zizkov 4: 0, Viktorku 6:0, und zum Semifinale hatten sie Sparta gegen sich. In dieser Woche erlaubte ihnen der alte Klapperzahn nur leichte Übungen; er massierte sie tüchtig, und am Sonntag, kurz vor dem Wettkampf gruppierte er die Mannschaft um. Zwei Stunden später schickte er seiner Frau folgendes Telegramm: "Sparta 6: 0 geschlagen, Honza im Kasten eingeschlafen."
Am gleichen Sonntag schlug Slavia die Mannschaft von Union mit 3 - 2 und eine Woche später trat die Klapperzahn Elf gegen den Sieger an. Vor dem Letna-Stadion in Prag war ein solches Gedränge, daß Militär herbeigeholt werden mußte, um die Zufahrtsstraßen abzusperren. Alle anderen Spiele waren abgesagt worden, denn jeder wollte die Klapperzahn-Elf sehen.
Sie kamen im Autobus. Der alte Klapperzahn saß beim Chauffeur und musterte die Leute. Er führte seine Jungen in die Umkleidekabinen, wartete bis sie fertig waren, und sagte dann: "Na Jungs, werden wir's ihnen geben?" , "Na klar" erwiderten die Jungen und liefen aufs Feld. Den Vater führten zwei Mitglieder vom Vorstand in die Ehrenloge, wo er mit dem Bürgermeister von Prag, dem Polizeipräsidenten und dem Finanzminister zusammen saß. In der Loge war das Rauchen eigentlich verboten, aber als der alte Klapperzahn seine Pfeife herausholte, gab der Polizeipräsident seinen Leuten einen Wink, daß man mit diesem Herrn eine Ausnahme machen dürfe.
Unterdessen brach auf dem Spielfeld unter den Pressefotografen eine große Schlägerei aus, weil jeder eine Aufnahme von der Klapperzahn-Elf machen wollte; etwa sechzig Reporter gingen mit ihren Apparaten aufeinander los. Endlich konnte die Mannschaft antreten, und der Schiedsrichter pfiff das Spiel an. Die Klapperzahn-Jungen lieferten ihr bestes Spiel. Die Mannschaft der Slavia war zwar auch gut in Form, aber bis zur Halbzeit lag sie 0: 3 zurück, und in der zweiten Spielhälfte mußte sie noch sechs weitere Treffer hinnehmen. Auf den Schultern trugen die begeisterten Zuschauer die Jungen der Klapperzahn-Elf zum Hotel. Hier entstand ein solcher Tumult, daß der Polizeipräsident den alten Klapperzahn ersuchen mußte, ein paar Worte an die Leute zu richten, damit sie auseinander gingen. Klapperzahn erschien auf dem Balkon, nahm die Pfeife aus dem Mund, rückte die Pelzmütze zurück, und als die vieltausendköpfige lärmende Menge sich beruhigt hatte und leiser geworden war, sagte er: "Na ja! So ist das halt! Ich hab' ihnen halt gesagt: Donnerwetter, Jungs, gebt's ihnen! Na, und sie haben es ihnen gegeben. Das ist alles! Es geht nichts drüber, als wenn Jungen auf ihre Eltern hören!"
Das war die berühmte Ansprache, die der alte Klapperzahn vor den zwanzigtausend Menschen hielt, nachdem seine Elf den Meistertitel mit insgesamt 126: 0 Toren errungen hatte.

Fortsetzung folgt

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