Klapperzahns Wunderelf
Folge 3
Nicht nur ganz Barcelona, halb Spanien war auf den Beinen. Nirgends gab
es ein anderes Gesprächsthema als die Frage, wie wohl das Spiel des
Meisters von Katalonien mit der geheimnisvollen Mannschaft der Klapperzähne
ausgehen würde. Die entsetzlichsten Gerüchte wurden mit allen
Mitteln der Nachrichtentechnik verbreitet. Aber wenn auch dreiviertel dieser
Nachrichten erfunden und übertrieben waren, über eine Tatsache
konnte man nicht hinwegtäuschen: Wie groß die Zahl der Klapperzahn-Spiele
auch war, immer stand im Ergebnis auf der einen Seite eine Null und auf
der anderen eine Zahl, die eher einer Jahreszahl als der Summe der Tore
glich. Der F. C. Barcelona ahnte, daß es hier ums Ganze ging, und
deshalb hielten Team und Ausschüsse einige Versammlungen ab, auf denen
sie berieten, wie diesen Tschechen zu begegnen sei. Die Sitzungen verliefen
aufregend und stürmisch, aber am Ende setzte sich Alcantara mit seiner
Ansicht durch: "Meine Herren, überlegen Sie, was Sie tun wollen",
sagte er. "Es wird das beste sein, wenn wir die Klapperzähne beizeiten
lahmlegen. Sicher ist sicher! Ich habe noch nicht gehört, daß ein
Mittelläufer mit einer gebrochenen Rippe die Situation gerettet hätte."
"
Bravo", riefen die anderen, "brechen wir ihm doch gleich drei!
Doppelt hält besser!"
"
Wenn es nach mir ginge, würde ich zuerst die beiden Innenstürmer
und den Mittelstürmer ausschalten. Das dürfte für die erste
Halbzeit genügen." "Und den Tormann obendrein! Zerschlagt
ihm das Schlüsselbein! Sicher ist sicher!"
Dann kam der Vorschlag, man sollte die bei den Flügel und einen Verteidiger
kaltstellen. Ein anderer Spieler riet zu einer wahren Schlacht im Zentrum
und wollte in einer taktischen Kombination den Mittelstürmer, Mittelläufer
und Torwart erledigen. Einige hatten wieder andere Ansichten, und wenn es
nach ihnen gegangen wäre, wäre die Klapperzahn-Elf innerhalb von
fünf Minuten nach dem Anpfiff reif für das Krankenhaus gewesen.
"
Ausgezeichnet", schrien die Spieler, "dann versetzen wir ihnen
Tore, soviel wir nur wollen!"
"
Meine Herren", fuhr der Vorsitzende wieder fort, "ich bin in der
Tat riesig gerührt, wenn ich Ihre edlen Bemühungen sehe, mit denen
Sie den Sieg unserer Nation sichern wollen. Aber es ist nicht ganz so, wie
es Ihnen scheint. Wenn wir sie alle umlegen, werden wir bei ihnen nicht
ein einziges Tor schießen können."
"
Warum denn nicht?" - "Wieso?" - "Oho!"- "Das
werden wir doch gleich sehen!" brüllte die Mannschaft durcheinander. "Meine
Herren, ich kann Ihnen nicht helfen, aber wir versetzen ihnen auch nicht
ein einziges Tor!"
"
Und warum nicht?"
"
Weil wir dauernd im Abseits wären!"
Die Spieler glotzten ganz bestürzt und verstummten. In der Tat, es
war doch klar, wenn man keinen Gegner mehr vor sich hat, steht man abseits.
Der Vorsitzende nutzte ihre Bestürzung aus und fuhr fort: "Ich
glaube, wir sollten die Angelegenheit nicht auf die Spitze treiben und denke,
daß der Vorschlag von Alcantara für den Anfang genügen wird.
Legt zuerst die beiden Innenstürmer und den Mittelläufer lahm,
dann werden wir ja weitersehen. Wenn das nicht genügen sollte, werde
ich den Anfang unserer Nationalhymne pfeifen, das soll für euch das
Zeichen sein, daß ihr dann die beiden Flügelstürmer und
die Verteidiger umlegen müßt. Und wenn euch das noch nicht genügen
sollte, machen wir die Mittellinie kampfunfähig, wie es im dritten
Antrag vorgeschlagen wurde. Aber laßt ihnen um Himmels willen wenigstens
drei Spieler im Feld, damit wir nicht ins Abseits geraten!"
Dieser Vermittlungsvorschlag wurde dann einstimmig angenommen, und alle
gingen begeistert nach Hause und glaubten, daß sie den Sieg schon
in der Tasche hätten! Am anderen Tag wußte man bereits in ganz
Barcelona von diesem Komplott, und überall herrschte riesige Freude.
Die Zeitungen brachten sogleich Fotos von Josef und Tonda Klapperzahn, den
bei den Innenstürmern, sowie von Karl, dem Mittelläufer. Sie widmeten
ihnen seitenlange Artikel, in denen sie mit Hilfe der Geschichte, der Völkerkunde,
der Naturlehre und Mathematik nachweisen wollten, daß diese drei die
größten Rohlinge wären, auf die Barcelona achtgeben müßte.
In allen Friseurläden, Weinstuben und Cafes lächelten die Leute
bedeutungsvoll, und die spanischen Jungen malten Kreuze auf die Fotos der
drei, als ob schon alles aus und vorbei und für alle Ewigkeit erledigt
wäre.
Das war der Sachverhalt, als die Klapperzahn-Elf eintraf.
Bis zum Spiel hatten sie noch drei Tage Zeit. Sie bummelten also durch die
Stadt und besichtigten alles, was ihnen interessant schien. Vor allem rissen
sie sich um die Zeitungen. Der alte Klapperzahn mußte sie besorgen.
Aber ganz gleich, welche Zeitung er auch in die Hand nahm, überall
fand er nur Bilder von Josef, Tonda und Karl. Und auf allen war ein Kreuz.
"
Was soll das nur bedeuten?" überlegte der alte Klapperzahn und
zerbrach sich den Kopf.
Während die Jungen in der Stadt umherschlenderten, saß er vor
dem Hotel, qualmte wütend seine Pfeife und bemühte sich vergeblich,
das spanische Kauderwelsch unter den Fotos zu entziffern. Vor diesen drei
Kreuzen, die sich überall wiederholten, bekam er allmählich Angst.
Er schwor sich im Geiste, daß die Jungen Fremdsprachen lernen müßten,
sobald sie nach Hause kämen, damit sie im Ausland nicht so verraten
und verkauft seien wie er.
So kam der Sonntag. Um 17 Uhr sollte das Spiel stattfinden, aber schon gegen
Mittag strömten die Leute zum Stadion. Sie stauten sich am Eingang,
und im Gedränge beachteten sie nicht jenen fremden Alten, der auf einem
Stein am Wege saß und selbst in dieser spanischen Hitze seine Pelzmütze
auf dem Kopf behielt. Er rauchte seine Pfeife und blickte auf die sich heranwälzenden
Massen. Noch niemals war der alte Klapperzahn so bedrückt wie heute.
Irgend etwas lag in der Luft, etwas Feindseliges und Hinterhältiges,
das fühlte er, aber er konnte der Sache nicht auf den Grund kommen.
Die Jungen waren ohne Sorgen - woher auch? -, aber er selbst saß wie
auf glühenden Kohlen.
Mittags hatte er folgende Entscheidung getroffen: Er hatte die Jungen im
Hotel in ihre Zimmer eingeschlossen, damit ihnen nichts zustoßen könnte;
er selbst war heimlich zu einer Erkundung aufgebrochen. Diese drei Kreuze
wollten ihm nicht aus dem Kopf, aber eine Erklärung fand er nicht.
Und wie er so am Wege saß und die Menschen beobachtete, hörte
er auf einmal Lärm und Geschrei. Die Leute sprangen zur Seite, drängten
sich auf den Gehsteigen, und in der Mitte der Straße fuhren drei Rettungswagen
des Roten Kreuzes zum Stadion. Der alte Klapperzahn sah die roten Kreuze,
stutzte, zählte einen, zwei, drei Wagen, schob seine Pelzmütze
zurück und kratzte sich hinter den Ohren, während die Wagen in
der Einfahrt verschwanden. Dann nahm er die Pfeife aus den Zähnen,
spuckte aus und brummte:
"
Ihr falschen, ausgekochten Ungeheuer, ihr möchtet also...!"
Jetzt endlich war ihm ein Licht aufgegangen.
,,0 ja", sprach er zu sich selbst, "das könnte euch Teufelsbraten
so passen. Daß ich doch noch dahinterkam, ihr hinterhältigen
Kanaillen!"
Er nahm die Pfeife auseinander, klopfte die Asche aus, steckte die Pfeife
wieder zusammen und rannte ins Hotel, daß die Schuhsohlen qualmten.
Das war gerade um 14 Uhr, und in zwei Stunden kam schon der Autobus, der
sie abholen sollte.
Gewöhnlich fuhren die Jungen ohne Gepäck zum Fußballplatz,
aber diesmal schleppte der alte Klapperzahn einen riesigen Koffer die Hoteltreppen
hinunter, den er vor längerer Zeit in Berlin gekauft hatte und von
dem die Jungen nicht wußten, was er eigentlich enthielt. Der Hoteldiener
und der Portier wuchteten den Koffer auf das Dach des Fahrzeuges, die Jungen
stiegen ein, und der alte Klapperzahn setzte sich wie immer neben den Chauffeur.
Sofort ging es mit viel Getöse und Geholper zum Stadion. Der alte Klapperzahn
hatte sich schon wieder ein bißchen beruhigt, aber als er auf der
Straße die Menschen erblickte, die zum Sportplatz zogen und feindselige
Blicke auf seine Jungen richteten, konnte er sich nicht zurückhalten.
Er fluchte und schimpfte während der ganzen Fahrt.
Die Jungen hatte seine sonderbare Laune wohl bemerkt. Aber sie konnten keine
Erklärung dafür finden. Jetzt tauchte ein zweites Rätsel
auf: Was war mit dem riesigen Koffer los? Auf dem Sportplatz mußten
sich wieder zwei Männer damit abrackern, um ihn in die Umkleidekabinen
zu bringen. Aber der alte Klapperzahn sagte kein Wort, er ging nur auf und
ab und blinzelte wie ein listiger Kater in der Sonne. Als sich die Jungen
umziehen wollten, verriegelte er die Tür, die zum Gang führte.
Noch niemals hatte das Umziehen der Klapperzahnjungen so lange gedauert.
Die Mannschaft von Barcelona war schon längst auf dem Spielfeld, die
45 000 Zuschauer brüllten, pfiffen und johlten, der Schiedsrichter
und die Linienrichter waren ratlos, denn die Klapperzähne waren nirgends
zu erblicken. Endlich schimmerte in der schwarzen Menge vor dem Klubgebäude
etwas Weißes auf, ein Ball flog hoch in die Luft, und die Klapperzahn-Elf
betrat das Spielfeld. Die Zuschauermassen verstummten mit einemmal, aber
unmittelbar darauf brachen sie in schallendes Gelächter aus. Solange
die Welt bestand und Fußball gespielt wurde - noch niemals hatte man
auf dem Rasen solche Fußballspieler gesehen.
Ihre Füße waren plump wie Holzklötze, und wer sie aus der
Nähe betrachten konnte, erkannte, daß unter den Stutzen Schienen
befestigt waren, wie man sie trug, als das Fußballspiel noch in den
Kinderschuhen steckte. Um die Knie hatten sie Gummireifen, dick wie Autoschläuche.
Die Schenkel waren hinten und vorn mit starken Gummipolstern, wie sie Rugbyspieler
gewöhnlich tragen, geschützt. Ähnliche Gummiplatten umgaben
die Schultern und Oberarme. Auf dem Kopf hatte jeder einen Sturzhelm, wie
Motorradfahrer. Aber am aller komischsten sahen ihre Körper aus! Alle
Klapperzähne waren schrecklich dick.
Ja, diese Jungen, die die ganze Welt als schlanke und flinke Burschen kannte,
hatten heute ungeheure Bäuche. überhaupt, unter dem Jersey schienen
sie überall vor Fett überzuquellen. Sie sahen wie elf riesige
Melonen aus, die sich auf plumpen Beinen bewegten. Die Spieler von Barcelona
gerieten vor Erstaunen außer sich. Alcantara kam heran und versetzte
Franz unauffällig einen Schlag in den Rücken. Seine Hand prallte
zurück. Die Klapperzähne trugen Gummianzüge, die mit Luft
aufgepumpt waren.
Niemand konnte ihnen auf den Leib rücken.
Alcantara zog mit einer langen Nase ab, und die Mannschaft von Barcelona
trat ziemlich verstört an. Bestürzt waren ebenfalls die Zuschauer
von Barcelona. Nur in der Mittelloge lachte jemand. Das war der alte Klapperzahn,
der dort aus seiner Pfeife qualmte, und er unterdrückte sein Lachen
so sehr, daß ihm die Tränen kamen.
"
Verflucht und zugenäht", sagte er nach einer Weile, als er seinen
Lachkrampf überwunden hatte, "sehr schnell wird man in dieser
Verpackung nicht laufen können. Aber was bedeutet das schon, das Leben
des Menschen geht über die Bequemlichkeit. Bei diesen räudigen
Schlägern sollten sie nicht vergessen, was ich ihnen gesagt habe."
Und die Jungen hatten es nicht vergessen. Sie spielten so, wie es der Vater
angeordnet hatte. Sobald sie sich des Balles bemächtigten, gaben sie
ihn in den längsten Querpässen, die nur möglich waren, weiter.
Der linke Läufer dem Rechtsaußen, der Rechtsaußen dem linken
Flügelstürmer, und die Flügel spielten miteinander. Die übrigen
Spieler berannten nur so das Tor. Die Folge war, daß in kurzer Zeit
zehn Spanier wie die Verrückten bald nach links, bald nach rechts liefen,
und wenn sie bei dem Klapperzahnspieler ankamen, der den Ball gerade hatte,
husch, flog das Leder über ihren Köpfen ans andere Ende des Feldes,
wo sich keiner von ihnen befand.
Und früher als sie es vermutet hatten, fiel das erste Tor, dann ein
zweites, drittes und viertes. Dann machten sie den Versuch, die Außenstürmer
zu decken - die Klapperzähne spielten aber in der Mitte weiter. Die
ganze spanische Mannschaft warf sich auf den tschechischen Sturm, aber der
schickte den Ball ganz weit nach hinten zu den Verteidigern, die spielten
ihn den Läufern zu, die wieder ganz unbehindert das spanische Tor angriffen.
Kurz und gut, es war ein Spiel, in dem die Spanier überhaupt nicht
zum Zuge kamen. Sooft sie am Ball zu sein glaubten, war er schon längst
wieder fort. Die Schüsse ins spanische Tor kamen aus großer Entfernung
und waren so scharf und mit Effet getreten, daß der Torwart nur fünf
gerade noch durch glänzende Reaktionen und mit artistischen Paraden
aus der Ecke herausholen konnte. Alle anderen Schüsse waren Treffer.
In der zweiten Spielhälfte war Alcantara schon so wütend, daß er
ohne jeden Grund Tonda mit bei den Füßen an die Brust sprang.
Ein schrecklicher Knall - und Alcantara flog zehn Meter weit zurück.
Tonda aber stand wie eine Vogelscheuche mitten auf dem Feld. Sein Dreß schlotterte
um die Glieder, so mager war er plötzlich geworden.
"
Macht nichts, Junge!" rief der alte Klapperzahn aus seiner Loge. "Ich
werde dich gleich wieder aufpumpen." Und wirklich, der Anzug wurde
geklebt und aufgepumpt, und als die Sonne unterging, hatten die Klapperzähne
31: 0 gesiegt!
"
Potztausend!" sagte schmunzelnd der Vater, als er ihnen die Gummianzüge
abstreifte. "Verdammte Teufel, es geschieht ihnen recht so. Ich werd's
ihnen geben, auf meine Jungen Kreuze malen!"
Aber die Sanitätsstation hatte trotzdem alle Hände voll zu tun.
Ja, die Rettungswagen reichten nicht einmal aus, und man mußte nach
Verstärkung rufen, denn an diesem Nachmittag waren auf den Tribünen
275 Spanier vor Wut geplatzt.
Fortsetzung folgt ...
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