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Pokalsieg mit Tränengas
Selten hat eine SVB-Elf ein Endspiel derartig dominiert und verdient für sich entschieden. Die Tore von Andis Shala, Lovro Sindik und Onur Uslucan waren herausgespielt, erzwungen und wunderschön. Die Defensive um den starken Keeper Marvin Gladrow ließ bis auf den Sonntagsschuss zum zwischenzeitlichen 1:2 Anschlusstreffer nahezu keine Torchance zu.
Leider wurde der herausragende Sieg durch eine indiskutable Fehlleistung der Freunde und Helfer in unglaublicher Art und Weise entwertet. Die geradezu dilettantische Einsatzstrategie führte zu über 100 teils Schwerverletzten. Für die Schuldfrage ist es unerheblich, wer letztlich wann diesen Einsatz angeordnet hat. Die gewählte Strategie der Polizei musste nahezu zwingend zum Komplettversagen führen. Eine (selbst-)kritische Aufarbeitung ist von der Polizei vermutlich nicht zu erwarten. Wie aus gewöhnlich gut informierten Kreisen verlautet, wurde allerdings die am Tage zuständige Einsatzleiterin zwangsweise in den Innendienst versetzt.
Bei besten äußeren Bedingungen machten sich mehr als 1.000 Babelsberger Anhänger auf den Weg zum Pokalfinale 2016, das nach Auslosung beim FLB in der Fläming-Stadt ausgetragen werden sollte. Babelsberg und Luckenwalde sind nicht nur durch die Nuthe verbunden, sondern auch durch eine längere Pokaltradition, die bis ins Jahr 2003 zurückreicht. Dabei durfte es als gutes Omen gewertet werden, dass sich der SVB im Cup-Wettbewerb immer durchsetzte. Dennoch war vor der Partie wechselseitig großer Respekt vor dem jeweiligen Gegner zu spüren. Babelsberg hatte in der Regionalliga im Karli mit 6:1 gewonnen, Luckenwalde unter Ex-Motor-Babelsberg-Kicker Ingo Nachtigall eine sehr starke Meisterschaftsschlussphase gespielt.
Nach einem Einkehrschwung in der Luckenwalder Innenstadt und einer würdigen Gedenkveranstaltung am Rudi-Dutschke-Gymnasium zog es den Tross der SVB-Anhänger zum Spielort, der bestens präpariert war.
Das enge Werner-Seelenbinder-Stadion bot gute Rahmenbedingungen, wenn auch die Kapazitätsprobleme mit einer Austragung in Babelsberg hätten gelöst werden können. Einzig der katastrophale Sichtbehinderungszaun im Gästeblock störte den Blick aufs Spielfeld. Die Sanitär- und Versorgungssituation war gut. Der Einlass lief reibungslos.
Babelsberg übernahm nach kurzer Nervosität in der Anfangsphase die Regie und kam bereits frühzeitig zu herausragenden Einschussmöglichkeiten. Doch zunächst stand der gut aufgelegte Luckenwalder Keeper Petereit im Wege. Flämische Offensivbemühungen waren nur äußerst sporadisch wahrzunehmen. Bezeichnend war eine Szene, als FSV-Stürmer Mame Diouf auf Laurin von Piechowski zulief und letzterer in einer derart souveränen Art und Weise den Angriff blockte und seinerseits den Gegenzug einleitete. Ob solcher Szenen war bereits frühzeitig eine gewisse Resignation bei den Gastgebern wahrnehmbar. Als dann Andis Shala nach maßgenauer Cepni-Flanke zum schulbuchmäßigem Kopfball hochstieg und Petereit wuchtig bezwang, gingen die Luckenwalder Schultern noch weiter runter. Mit 1:0 für Nulldrei gings in die Pause.
Nach dem Seitenwechsel verstärkte der FSV seine Bemühungen in der Offensive, ohne allerdings ernsthaft Wirkung zu erzielen. Vielmehr blieb der SVB auch in dieser Phase die gefälligere Elf. Immer wieder inszenierten die starken Leon Hellwig und Bilo Cubukcu Angriffe, vorn machten Andis Shala, Matthias Steinborn und Enes Uzun weite Wege und verbreiteten Angst und Schrecken. Als die Kräfte bei Uzun nachließen, wechselte Cem Efe und brachte den laufstarken Lovro Sindik, der wie aufgedreht agierte. Der unbedingte Wille, die Partie frühzeitig zu entscheiden, wurde wenig später belohnt. War Lovros erster Versuch aus der Distanz noch zur Ecke abgefälscht worden, schlug der nächste Ball zum 2:0 aus Babelsberger Sicht ein.
Beim Babelsberger Anhang machte sich ob der souveränen Vorstellung frühzeitig Feierlaune breit. Die ausgelassene Stimmung wurde allerdings kurz beeinträchtigt, als der Luckenwalder Trainersohn Felix Nachtigall mit einem Sonntagsschuss quasi aus dem Nichts zum 1:2 Anschlusstreffer einschoss. Marvin Gladrow war bei der qualifizierten Direktabnahme ins rechte Eck machtlos. Dass die Schlussphase den Spielverlauf nicht auf den Kopf stellte, war einerseits unserem Torwächter zu verdanken, der noch einmal einen gefährlichen Ball über die Latte bugsierte und andererseits dem ebenfalls eingewechselten und wieselflinken Onur Uslucan, der eine Vorlage in den Lauf von Andis Shala mit unheimlich viel Gefühl über Petereit hinweg ins Tor lupfte.
Warum Schiedsrichter Müller aus Cottbus, die Partie noch einmal anpfiff, wird wohl sein Geheimnis bleiben. Schließlich waren mit Uslucans entscheidendem Treffer schon mehrere Minuten nachgespielt und größere Unterbrechungen hatte es nicht gegeben. Letztlich hatte die weitere Nachspielzeit aber keine sportlichen Auswirkungen mehr. Der SVB brachte das Ergebnis über die verbleibende Zeit und unbeschreiblicher Jubel brach sich auf dem Platz und auf den Rängen im Gästeblock Bahn.
Zunächst schienen die inzwischen aufgezogenen Polizeikräfte einer blau-weißen Jubelfeier nicht im Wege stehen zu wollen, wenn auch der Aufzug bereits höchst bedrohlich erschien und Schlimmes erahnen ließ. In Vollschutz behelmt und teilweise vermummt, mit Reizgas-Druckbehältern im Anschlag, formierte sich eine Kette von mehr als 50 Beamten. Die Mannschaft kam feiernd Richtung Gästeblock und Andis Shala ließ es sich nicht nehmen, durch die Polizeikette zu gehen, auf den Zaun zum Capo zu steigen und ein „Darum feiern wir!“ zu intonieren.
Was dann allerdings folgte, war ein Gewaltausbruch der eingesetzten Polizeikräfte, wie man ihn lange nicht mehr wahrgenommen hat. Wahllos wurde Reizgas durch den Zaun gesprüht, zahlreiche Fans unterschiedlichsten Alters und verschiedenster Attitüde wurden verletzt, ein Krankenwagen fuhr auf den Platz, während im Hintergrund die Siegerehrung lief. Schließlich landete ein Rettungshubschrauber mit Notarzt an Bord auf dem oberen Kunstrasenplatz des Werner-Seelenbinder-Stadions. Die Einsatzleitung der Feuerwehr bzw. des Sanitätsdienstes löste einen sogenannten MANV (Massenanfall an Verletzten) aus, eine Großlage des Katastrophenfalls, die sonst bei Flugzeugabstürzen, Zug- oder Kraftwerksunglücken zur Anwendung kommt.
Noch vor Ort und unmittelbar nach der Rückankunft in Babelsberg begann eine Debatte um die Schuldfrage. Der Verein kündigte in einer vorläufigen Stellungnahme die Prüfung der Ereignisse an, machte aber bereits deutlich, dass der Polizeieinsatz insbesondere wegen der Inkaufnahme zahlreicher unbeteiligter Verletzter scharf zu kritisieren ist. Die Polizeibehörde rechtfertigte hingegen das Vorgehen der Beamten als „verhältnismäßig“ und „alternativlos“. Die anschließende gemeinsame Erklärung relativierte diese konträren Einschätzungen und löste erheblichen Unmut bei zahlreichen Betroffenen des polizeilichen Vorgehens aus.
Leider befassen sich die Analysten auf allen Seiten allerdings nicht mit der Kardinalfrage: Wie konnte es zu einem so massiven Polizeieinsatz kommen, der in absolut unverhältnismäßiger Art und Weise die Beeinträchtigung von Leib und Leben unbeteiligter, friedlicher Personen – darunter auch besonders schutzwürdige Kinder und Senioren - mindestens billigend in Kauf nahm?
Es ist festzuhalten, dass Polizei- bzw. Einsatzleitung offensichtlich schon bei der Vorbereitung des Einsatzes den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht beachtet bzw. schwer verletzt hat. Bereits bei der Wahl der Einsatzstrategie hätten die Folgen einer Auseinandersetzung am Trennzaun berücksichtigt werden müssen. Auch vor dem Hintergrund der durch die Polizei herbeischwadronierten Gefährdungslage war eine unmittelbare Konfrontation zwischen Polizei und Fans am Trennzaun zumindest nicht unwahrscheinlich. Die in dieser Konstellation erwartbare Auseinandersetzung musste nahezu zwingend zu unbeteiligten Opfern eingesetzter Zwangsmittel, insbesondere Reizgas, führen.
Eine erfahrene Polizeiführung hätte dem Veranstalter bereits im Vorfeld nahelegen müssen, auf das ohnehin weltfremde und angesichts des störungsfreien Verlaufes des Pokalendspiels auch in der Durchführung unangemessene Platzbetretungsverbot zu verzichten. Eine Polizeiführung mit Fußballerfahrung hätte gewusst, dass es einen Aktionsraum braucht, um Fangruppen zu trennen und insbesondere deseskalierend reagieren zu können. Dass die polizeiliche Einsatzleitung sich selbst in eine einsatztaktische Zwangslage gebracht hat, die in der Folge zur Verletzung oder Gefährdung zahlreicher Unbeteiligter geführt hat, ist die zentrale Fehlleistung des Tages. Alle anderen Entscheidungen und die „Begleiterscheinungen“ sind quasi Folge dieser katastrophalen Einsatzplanung.
Die Argumente der Pressemitteilungen der Polizei (versuchter Platzsturm, entwendete Pokal-Tickets, Aufeinandertreffen verfeindeter Fangruppen, Kleinrechnung der Verletztenzahlen, kommunikative Missverständnisse) sind allesamt als Nebelkerzen einzustufen. Es bleibt abzuwarten, inwieweit der involvierte Innenausschuss des Landtages Brandenburg ernsthaftes Interesse an einer Aufklärung hat. Empfehlenswert wäre hierfür die Beratung durch geeignete und unabhängige Experten. Eine ernsthafte Aufarbeitung wäre allen Beteiligten – insbesondere auch den eingesetzten Beamten - zur zukünftigen Vermeidung solcher polizeilichen Exzesse zu wünschen!