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Mit Nulldrei auf der Tina-Turner-Abschiedstournee

Ja, so ist das, wenn man seine Spielberichte erst sonstewann anfängt zu schreiben: So richtig kann ich mich gar nicht mehr erinnern, was da Anfang Mai am letzten Spieltag der 2. Bundesliga in Frankfurt/M. eigentlich los war. Wenn ich mich recht entsinne, fuhr ich mit recht vielen Schlachtenbummlern in einem Bus ohne sanitäre Einrichtung in die Odermetropole am Main. An die Fahrt selbst habe ich keine erwähnenswerte Erinnerung: Kopfschmerzen, schlechte Musik, Raststätten, Langeweile. Also genau das, wofür man sich für gewöhnlich alle 14 Tage in aller Herrgottsfrühe euphorisch aus der Matratzengruft erhebt.
Nun gut, irgendwann machte der eine unserer beiden Berufskraftfahrer auf einem Forstparkplatz den Motor aus. Was Sinn machte, denn das Waldstadion in Frankfurt muss ja irgendwo seinen Namen herhaben. Selbiges sollte übrigens an diesem Tag sein letztes Spiel erleben, welch Ehre für uns Nuldreier. Kurzer Fußmarsch und schon standen wir auf den Traversen. Das heißt, nicht alle. Die Ordnungsknechte hatten nämlich noch die Muße, uns die Mitnahme unserer "Transpete" (Transparent in Tapetenform) verweigern zu wollen. Zu recht, denn es sind ja auch schon einige Stadien durch unsachgemäße Verwendung dieses Teufelszeugs abgebrannt. Nachdem ein viertelstündiges Gemisch aus Beknieen, Jammern, Heulen, Drohen und Verhöhnen der Sicherheitslakai-en fruchtlos blieb, konnte Gregor mit einem zweisekündigem Telefongespräch mit dem tatsächlich Verantwortlichen die Lage klären und die Transpete durfte ins Waldstadion, wo das Spiel natürlich schon lief.
Zur Bedeutung des Spiels: Bei einem Sieg wäre Nulldrei in der ersten Bundesliga, bei einer Niederlage nicht. Ganz prekär wäre es bei einem Unentschieden, denn dann käme es auf die Ergebnisse der anderen Mannschaften an. Für die Hessen ging es um nichts mehr, sie standen bereits als Absteiger fest. Die Euphorie auf den Rängen bemächtigte sich der ca. 200 Leiber im Nulldrei-Fanblock entsprechend.
Derweil die Eintracht-Fans eine Transpete nach der anderen (von etwa 50) entrollten - sogar auf ungarisch für den neuen Hauptsponsor war was dabei -, plätscherte das Spiel so vor uns hin. Irgendwie, irgendwo, irgendwann traf Chen Yang nach einer Ecke zum 1:1. Beim obligatorischen Anbrüllen des Torschützen-Vornamens verstand ich "Cem" und brüllte deshalb "Efe" zurück, was die mich umringenden verwirrte - und hier sicher keinen mehr interessiert. ("Sone Scheiße schreibt er, aber nicht, wer wann und warum unser Tor geschossen hat". Ja, leider.)
Im Fanblock setzte sich allmählich der ultrakuttigste Support der ganzen Spielzeit durch: Langanhaltendes, stummes Beklatschen der guten Aktionen unserer Mannschaft. Was haben wir geschmunzelt. Dann war Halbzeit und es ging ans Entrollen der ellenlangen Stehplatz-ermäßigt-Transpete oder auch des längsten Sicherheitsrisikos der Welt. Hier noch mal der Wortlaut: "Der Abstieg ist das Ergebnis eines inneren Reifeprozesses". Begriffen hat den Spruch letztlich keiner, nicht mal lepetit, der ihn aus einer Frauenzeitschrift abgeschrieben hat. Egal, wichtig war es, Haltung zu zeigen. Beim Festhalten.
In der zweiten HZ passierte irgendwie nicht mehr viel und es blieb beim Unentschieden. Jetzt hieß es natürlich in die anderen Stadien schauen, doch die waren ziemlich weit weg. Also Radio. Und was keiner wahrhaben wollte, wurde plötzlich Gewissheit. Die anderen Mannschaften hatten ihre Spiele gewonnen (in vielen Monaten zuvor) und, so zäh und bitter es auch heute noch aus der Feder rinnt ... Nulldrei war ABGESTIEGEN. Was sich nun im Fanblock abspielte, kann sich keiner ausmalen, der nicht dabei war: Fassungslosigkeit, lähmendes Entsetzen, erwachsene Männer mit Tränen in den Augen, minderjährige Frauen, die sich schluchzend in den Armen lagen? Nein, das alles nicht. Vielmehr nahm man die spendierten Trikots der Spieler in freudigen und umkämpften Empfang, bei Martino, Lori und Lars Kampf gab es "Oh's" und "Ah's" (als Response auf Waschbrettbauch und andere Muskulösitäten). Lepetit sicherte sich schlitzohrig das Leibchen von Igor "gute Fußballer" Lazic. Nur Baluszynskis Jersey wollte keiner haben. Da hat er mir schon wieder fast Leid getan. Außerdem hätte ich's jetzt gern, wäre ja wohl jetzt schon wieder, nein nicht "Kult", aber so was in der Richtung.
Dann zockelte der Mob davon, probierte am Kiosk noch schnell den berühmtem Äppelwoi, wovon es zwei Sorten gab, die eine übrigens ungenießbar. Die andere auch. Schön. Ab nach Hause. Im Bus schmiedeten wir dann große Pläne für die Sommerpause - ich sag nur Wahl der "Miss Kutte", Karaoke-Nacht im Fanladen (Fred, Frohni, Chrischan, Lüschi und Falko wollten "Stern Meißen" sein) und noch einiges. Doch anscheinend hat uns das Stadionfest "Der Ball ist bunt", die Fußi-WM und der Sommer ziemlich geschlaucht, so dass wir das, freundlich formuliert, alles noch vor uns haben.

P.S. "Letztes Spiel im Waldstadion", ja klar. Eine Woche nach unserem Auftritt fand dort noch das EC-Endspiel der Frauen statt und auch neulich sah ich doch die Eintracht noch auf der Baustelle kicken. Das erinnert mich an die Tina-Turner-Abschiedstournee, die ich 1990 erleben durfte (ich war jung) - die Dame singt heute noch. Wurden wir verarscht? Ein Fall für den DFB)

hr Joe Dassin
(T.A.F.K.A.K.S.)

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