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Von den Eskapaden der vergangenen Nacht noch mächtig gezeichnet und den eigentlich verantwortungsbewusst gestellten Wecker überhörend, weckte mich der schnellste Krankenpfleger der Welt per Handy aus dem Schlaf um sogleich mit drei weiteren Freiwilligen in seinem Ewald-Mobil vorzufahren. Eigentlich hatte unsere Reisegruppe die entsprechende Größe anderer PKW-Fahrgemeinschaften, aber die Dekadenz von Stehplatz-Ermaessigt-Reisen bescherte uns eine der komfortabelsten Auswärtsfahrten überhaupt. Da unser rasender Webmaster seinen beliebtesten Co-Piloten nach Vorn beorderte, durften wir anderen jeweils eine der drei restlichen Bänke im Pflegewagen einnehmen. Corinna, die noch am Vorabend ihren musikalischen Neigungen auf der Bühne nachgegangen war und augenscheinlich den Gig entsprechend lange ausgewertet hatte, nutzte eine dieser Bänke auch gleich in vollem Umfang aus und entschwand die nächsten Stunden bis zum Zielort in einer anderen Welt.

Auch ich wäre zumindest der amtieren Welt gerne ein bisschen entflohen, da unter den mitgebrachten Leckereien der Reiseteilnehmer unter anderem auch so erlesene Köstlichkeiten wie Hummer, Sekt und Lachs waren. Eben dieser Lachs hatte es sich aber vorgenommen, meinen Riechkolben aufs intensivste zu belästigen und ich war dankbar, als mein Sanitäter ihn in diversen geruchsundurchlässigen Folien verschwinden ließ.

Der zwischen Ulla und mir ausgemachte Kompromiss, mit dem ersten Bier doch bis 11.00 Uhr warten zu wollen, gehörte nach zähem Ringen mit den eigenen Sehnsüchten bereits um 9.30 Uhr der Vergangenheit an. So kam es, dass im Verlauf der Anreise so gesellschaftlich wertvolle Themen, wie das Sexualverständnis der heutigen Jugend oder auch der Nutzwert von Tampons als Verhütungsmittel, ausgiebig erörtert wurden. Fußball kann so nebensächlich werden, wenn Mann/Frau auf den Trichter gekommen ist, dass die eigentliche Funktion unseres Gefährtes ein mobiles Sexualberatungszen-trum sei. Zum Glück kamen wir auf diesen selbigen nicht und so überraschte es uns auch nicht im geringsten, als der Mann hinter dem Lenkrad sein Fahrzeug auf einem großen Parkplatz direkt am Gästeblock der Grothenburg-Kampfbahn zum Stehen brachte. Kaum angelangt wurden wir auch schon von einem grinsenden Fotografen mit letztmalig gültiger DB-Netzkarte sowie einer kleinen Schar jugendlicher Pyromanen erspäht. In irgend einer Kammer hatte irgendjemand ein paar alte Motor-Dressen ausgegraben und Filmstadt’s Kreativabteilung hatte sich zu einer spontanen Mottofahrt im Schlafanzug entschieden. Da es sich an diesem Tag um den 3-jährigen Geburtstag der mittlerweile immer stärker krisengebeutelten Ultra-Gruppierung handelte, sah man ihnen diese Peinlichkeit kurzerhand nach und konzentrierte sich auf den umherrollenden Ball, der wie immer zum Standardinventar unseres Reisemobils zählte.

Irgendwann war aber jeder vom anderen genervt, das Spiel sollte auch demnächst losgehen, also entschied man sich, den Gästeblock zu erobern. Gerade rechtzeitig, denn kaum war man in diesem angelangt, schickte sich Babelsbergs Oberindianer an, die Reihen seiner Gladiatoren aufzusuchen. Seiner Verwunderung über die geringe Zahl der Mitreisenden begegnete ich mit der Frage, was er denn bei der derzeitigen Vereinspolitik anderes erwarten würde. Sofort gab er zu, Gesprächsbedarf ausgemacht zu haben und nachdem ich ihm noch mitteilte, dass dieser ja wohl seit seinem Amtsantritt bestehen würde, verschoben wir eine Umsetzung auf die kommende Woche. Grund: Das Spiel schickte sich an zu beginnen.

Um es vorweg zu nehmen, es gab nicht viel, was zu berichten lohnt. „Not gegen Elend“ war eine der Floskeln, die nach Abpfiff die Runde machten. Beide Mannschaften versuchten sich im Absichern des eigenen Strafraums und da weder auf der einen noch auf der anderen Seite jemand auszumachen war, der mit dem gegenüberliegenden Bollwerk etwas anfangen konnte, gab es vorwiegend Fehlpässe und Abseitsstellungen zu bestaunen. Letztere soll „angeblich“ auch beim einzigen Tor der Babelsberger vorgelegen haben, weshalb der Schiedsrichter dem Treffer von Röver auch keine Anerkennung schenkte. Allerdings waren nicht wenige im Block der Meinung, dass die Junge Frau an der Außenlinie, die um uns zu ärgern, ihre Fahne erhoben hatte, aus der legendären Familie der Palazzos kommen könnte.

Insgesamt muss die erste Hälfte aber als klassisches „Fußballsuchtbekämpfungsmitt-el“ beim Patentamt angemeldet werden. Das schlimme war nur, dass sich daran auch in den folgenden 45 Minuten nicht viel änderte. Lediglich zweimal, gab es Grund zur Erregung. Beide male nicht unbedingt positiv für die mitgereisten Nulldrei-Anhänger. Erst musste nämlich nach gut einer Stunde unser Olli „der heißt“ Herber wegen einer Gehirnerschütterung vom Platz. Und auch wenn Re-Aktionär Dirk Heinrichs (wunderbar) seine Aufgabe ausgesprochen gut erfüllte, so musste er in allerletzter Sekunde doch noch hinter sich greifen. Eine Flanke von rechts kann er nicht weit genug abwehren und der Uerdinger Krohm versenkt das Leder im Nachsetzen im Tor.

Marcel Fensch hatte dann im Gegenzug kurioserweise noch die größte Chance auf ein Babelsberger Tor im ganzen Spiel, aber der Krefelder Torverhinderer wusste seinen Hintern effektiv einzusetzen und begrub den Ball darunter. Wie sich später herausstellte, hätte aber wohl auch ein Ausgleich zu diesem Zeitpunkt, den eh schon stark ins Wanken geratenen Stuhl von Trainer Salov nicht mehr stabilisieren können und so konnte man ihn wenig später völlig fertig über dem Lenkrad seines Autos hängend ausmachen. Ehrlich gesagt, verspürte ich zu diesem Zeitpunkt wahrhaft Mitleid mit ihm, auch wenn ich zugegebener Maßen kein Verfechter seines „wie auch immer gearteten“ Stils war. Aus heutiger Sicht bin ich auf jeden Fall froh, dass er meinen Versuch ihn zu trösten nicht mitbekam, denn ich will mir nicht vorstellen, wie trosteinflößend ich nach dem Genuss diverser Kaltgetränke noch sein kann.
So ließen wir die Zeit noch ein bisschen verstreichen und erwarteten unsere mitgereisten Pressevertreter inklusive zweier neuer Reisegefährten, von denen sich gerade der Grinser als geniale Wahl herausstellte. In einem Fort erzählte er Witz um Witz, diverse Stories seiner zahlreichen Bahnreisen und Radtouren und gab schlussendlich zu, von akutem „Mezzo-Mix-Verlangen“ befallen zu sein. Unser Therapieversuch, ihn einfach nicht aus dem Auto zu lassen scheiterte daran, dass er etwa 40 Flaschen dieses Panschgetränks in seiner rechten Jackentasche gehortet hatte. So versuchten wir es mit einer Huldigungsorgie auf einem der unzähligen Parkplätze – auch das half nichts. Erfolgreicher war dagegen die Firma Radeberger bei dem Versuch mein Erinnerungsvermögen nachhaltig zu trüben, weswegen ich eine weitere Schilderung, die sich auf real stattgefundene Ereignisse beziehen soll, nicht mehr verantworten kann. Lediglich eine Sache ist mit noch in Erinnerung, nämlich die Erschaffung eines neuen Mottosongs „Wir holen uns die Punkte am grünen Tisch“ können wir in dieser Saison vielleicht noch öfter anstimmen.

chrischan

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