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Wessis nach Weimar

So, so, der TV? Moderator Ulrich Meyer besitzt also einen halben Straßenzug in Potsdam. Schön für ihn und schön auch, dass die Berliner Zeitung mir dies am Wochenende mitteilt. Schließlich muß man informiert bleiben über den aktuellen VIP?Stand der Stadt.
Denn offenbar werden es immer mehr. Jauch, Joop und Auermann erscheinen angesichts ständiger Neuzugänge bereits wie Urgesteine in der Neu?Potsdamer Promilandschaft. Nun also auch noch Springer?Chefs, Botschafter, Namen aus der Medien? und Glamourwelt.
Muß denn das sein? möchte man fragen. Man kennt ja diese Leute nicht. Bestimmt sind es anständige Menschen, die auch viel Gutes tun. Für die Allgemeinheit. Für die Stadtkasse. Also für uns.
Aber müssen sie nun alle...? Ausgerechnet hier .. ? Haben wir überhaupt so viel Platz?
Mit Wehmut erinnert man sich der Zeiten, als man noch irgendeine Tante oder Oma in der Berliner Vorstadt hatte oder zur Schulfreundin mit spielen ging. icher, die Fassaden waren grau und oll, die Häuser alt und wacklig. Aber es war zu Hause. Ein Stadtteil, in dem man was zu suchen hatte. Wunderbar trotz Ofenheizung.
Die Zeiten sind vorbei. Na gut, tröstet man sich: Villen sind eben Villen und sollen dann wohl von Villenbesitzern bewohnt werden.

Aber was ist mit Babelsberg, der Innenstadt und Potsdam West? Darf man da auch nicht mehr wohnen? In einer Zeitung ist zu lesen, dass in Potsdam seit der Wende ungefähr 120 000 Menschen umgezogen sind. Also alle, oder wie?
Es gibt keinen Zweifel mehr: Potsdam wurde entdeckt! Vielleicht hätten wir lieber noch etwas länger im Verborgenen, Verwunschenen und Verfallenen existiert, doch nun ist es zu spät: der Domino?Effekt ist am Wirken. Ein Neu?Einwohner zieht den nächsten an. Und schließlich ist es ja zum Wohle der Stadt. Was wäre an kostbarem Architekturgut nicht alles verfallen sonst, nicht wahre?

Trotzdem möchte man die Hände über dem Kopf zusammenschlagen bei jedem neuen Zeitungsartikel, der die Anmut und Schönheit der Potsdamer Kulturlandschaft preist. "Pscht!" möchte man machen. ?Das wissen doch nun schon genug." Statt dessen wünschte man sich zur Abwechslung mal eine Meldung wie: "Frau Erna T. in Babelsberg geboren und seit 40 Jahren in der Garnstraße lebend wird dort auch noch die nächsten 20 Jahre wohnen."
Hat keinen Nachrichtenwert, so was? Mittlerweile schon. In rasantem Tempo wird hier ein ganzer Stadtteil schick saniert. Leergezogen. Aufgemotzt und teuer vermietet. Von privat selbstverständlich. Die städtische Wohnungsbaugesellschaft hat in Babelsberg fast ihren gesamten Altbaubestand verkauft. Sorgsam angeschraubte Goldtäfelchen der expandierenden Immobilienfirma Kirsch und Drechsler zieren in Babelsberg nahezu jedes dritte Haus: Hier sanieren Kirsch und Drechsler, erfährt man. Oder Hier haben Kirsch und Drechsler saniert. Derweil markiert Kirsch oder Drechsier auf einem Stadtplan in seinem Büro die Errungenschaften mit kleinen Fähnchen. Ungelogen. Wie bei einem Feldzug.
Babelsberg wird wieder ansehnlich. Die Mietpreise auch. 7?8 Euro nettokalt, d.h. mindestens 10 Euro warm pro Quadratmeter. Kann man nicht bezahlen. "Wann musste raus?" ? eine alltägliche Frage. Und hängende Gesichter bei Wochenendbesichtigungen. Wohnungsgesuche mit tollen Belohnungen in jedem Supermarkt. Manche richtig lustig: Junge Familie möchte kleine 3?Zimmer?Wohnung mit Balkon bis 700 Euro.

"Leerstand gibt's hier nicht" so ein ansässiger Immobilienmakler, " für die Berliner ist Babelsberg ideal. Raus aus der Stadt und gleich an der S?Bahn." Also normalverdienende Potsdamer in die Platte. Oder nach Berlin? Wenn die Verkehrsanbindung so günstig ist.
Ein Trost bleibt den letzten Mietern im unsanierten Altbau. Mit der Sanierung kommt der Auszug und mit dem Auszug kommt die Abfindung. Mehr als die meisten Omas je vererben werden. Da kann man sich wenigstens ein neues Auto, Notebook oder mal eine schöne Reise leisten.

Dem Urpotsdamer, der seine Stadt liebt und der auch noch etwas von ihr haben möchte, bleibt zuletzt nur der Griff zur Selbsthilfe: Potsdam entzaubern! Die Stadt muß unattraktiver werden! Abschreckungspotential muß her! Z.B. der PDS?Oberbürgermeisterkandidat Hans?Jürgen Scharfenberg. Hier wurde eine hervorragende Chance vertan! Da gibt es Furcht, tiefsitzende Ängste beim westlichen Zuzügler! Die muß man doch nutzen! Was hätte die Schlagzeile "Rote Socke in Potsdam Stadtoberhaupt" alles bewirken können? Schade.
Oder die Hausbesetzer? die kann man doch reanimieren. Die müssen wieder sichtbar werden im Stadtbild! Sich ordentlich wild gebärden, so richtig verzottelt herumtoben. (Das könnte man notfalls üben.)
Nicht zu vergessen die Wildschweine, die ja ebenfalls in Horden aus Berlin zu uns nach Babelsberg drängen. Nachts kommen sie angeschwommen über den Tiefen See oder spazieren über die Klein Glienicker Brücke. Diese lieben hungrigen Tierchen, die den Babelsberger Park nach Essbarem zerwühlen. Muß man die denn erschießen? Die könnten uns doch helfen! " Gefährliche Wildnis im Park Babelsberg!" Der Tiger war schon ein guter Anfang.

Wichtig sind gleichzeitige Ablenkungsmanöver, mit denen der Zustrom umgelenkt wird. Wie viele wunderhübsche Städtchen im Berliner Umland schlummern noch im Dornröschenschlaf! Völlig unbekannt. Wie wäre es z.B. mit Straußberg? So ein idyllisches Örtchen! Da gibt es Seen, Wald und viel Grün. Da können gestresste Großstädter so richtig entspannen und zur Ruhe kommen.
Leider herrscht diesbezüglich noch viel Unkenntnis unter den Zuzüglern. Die lesen nur immerzu "Potsdam", "Schlösser? und "Joop" in der Zeitung und denken, da muß ich hin Falsch! Schlösser und Parks gibt es in ganz, ganz vielen Städten im Land Brandenburg. In manchen wohnen sogar Adlige !

Cornelia Hoffmann

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